Als ich Mitte diesen Monats meine Bilder auf der Kunstmesse im Frauenmuseum Bonn ausstellte, war es unter anderem mein Bild "Shades of Gender", das starkes Interesse weckte. Ich konnte mich mit sehr vielen Menschen darüber austauschen und habe viel Zustimmung erhalten. Ein Grund für mich, allen Interessierten einige meiner Gedanken dazu noch einmal zu erläutern:
Schubladendenken als Vereinfachung der Welt
High Heels, Rock und manikürte Fingernägel - ja, ich gebe zu, dass ich eine Schwäche dafür habe. Aber was heißt Schwäche, ich mag es einfach! Deshalb sieht man mich immer mit mindestens einem dieser drei Dinge. Mit dem ersten optischen Eindruck stecke ich damit aber oftmals gleich in einer Schublade.
Ja, natürlich bin auch ich soziokulturell geprägt und meine Vorstellung von Ästhetik ist nicht frei von dem, was mir in meinem Leben dazu bisher begegnet ist. Aber in diesem begrenzten Freiraum, der mir, wie jedem anderen, für freie Entscheidungen sowieso nur zur Verfügung steht, habe ich mich dafür entschieden, das schön zu finden.
Und Achtung, jetzt kommt das Klischee: weil ich nun in der Schublade stecke, in die die manikürten Fingernägel gehören, erfahre ich immer wieder Erstaunen, wenn ich gleichzeitig in abgerissener Jeans mit Putzkelle, Bandsäge oder Ähnlichem hantiere. Auch im Jahr 2022 werden solche Dinge in den Köpfen leider wenig kombiniert.
Es steht einer Vereinfachung im Weg, die wir sicherlich alle an irgendwelchen Stellen in unserem Leben anwenden, um unsere Welt überschaubar zu halten.
Am Anfang war... rosa oder hellblau?
Obwohl das Wort "Gender" in aller Munde ist, sind Geschlechterstereotype nach wie vor nicht obsolet. Meiner Beobachtung nach findet diese Vereinfachung heute schon quasi vor Lebensbeginn eines Menschen statt. Spätestens ab der Geburt heißt die entscheidende Frage aber: Rosa oder hellblau? Mit dieser knallharten Entscheidung konfrontiert einen als Eltern die Welt sämtlicher Baby-Konsumgüter schon lange bevor das eigene Kind das erste Spielzeug in die Hand nehmen kann. Bei Kinderwagen und größeren Objekten gibt es vielleicht noch Ausweichfarben vom kühlen Beige bis zum frischen Grau, falls man es sich offen halten möchte ggf. noch weitere Kinder mit bisher unbekanntem Geschlecht zu bekommen.
Bei Kleidung und Spielsachen wird relativ schnell klar, was man doch bitte für welches Geschlecht zu wählen hat. Kann man dem ausweichen? Oft schwierig und ökonomisch bestimmt auch nicht erwünscht. Denn unter diesem Gesichtspunkt ist es natürlich sinnvoller, Eltern kaufen alles doppelt: erst die rosa Prinzessinnnen- oder Feenstrampler und dann das Ganze noch einmal in hellblau mit schickem Sportflitzer, alternativ auch Feuerwehrmänner, Dinosaurier, später auch Monster - oder eben umgekehrt.
Als Mutter empfand ich meine Erstbegegnung mit diesen Welten in den Kinderabteilungen einigermaßen erschreckend. Mit Erstaunen stellte ich fest, wie rigide diese Einteilung und Zuordnung teilweise durchgezogen wird. Waren wir da nicht schon weiter? Ich wurde eines Besseren belehrt: Nicht nur sollte man seine Kinder doch bitteschön spätestens ab Geburt nach außen geschlechtstypisch kennzeichnen, nein, diese sollten sich am besten auch möglichst schnell in ihre Geschlechterrolle einfinden. Denn alles andere setzt schon die Kleinen unter Druck. Vor allem in der blauen Jungswelt wird abweichendes Verhalten mit Interesse an der rosafarbenen Mädchenwelt nicht toleriert und sanktioniert. Da scheint ein offeneres Verhalten bezüglich der Geschlechterrollen ebenso weit entfernt wie Toleranz bezüglich unterschiedlicher geschlechtlicher Entwicklung. Das ärgert mich besonders im Hinblick auf die Entwicklung von Potenzialen und den Umgang, den wir miteinander haben.
Mädchen rosa, Jungen hellblau oder etwa umgekehrt?
Mag Stereotypisierung einer Vereinfachung unserer Welt dienen, so ist sie gleichzeitig natürlich eine Beschneidung unserer Wirklichkeit und kann einem Individuum niemals gerecht werden. In meinem Bild "Shades of Gender" greife ich diese vereinfachenden Elemente auf, kombiniere sie in unterschiedlichen Mustern und stelle so eine neue Vielfalt her, die Perpektiven erweitern soll. Ich spiele mit der Reduktion der Geschlechtlichkeit auf die Farben Blau und Rosa, die ich in 120 unterschiedlichen Proportionen und Schattierungen auf die Eierschalen aufgetragen habe. Witzigerweise hat sich die Zuschreibung der Farben im letzten Jahrhundert genau verkehrt: In einem Artikel von 1893 der New York Times über Babykleidung wurde noch darauf hingewiesen, dass man Jungen immer Rosa und Mädchen immer Blau anziehen soll (St Clair, Kassia: Die Welt der Farben, 3. Auflage 2018, S. 131). Als blasses Rot wurde Rosa als die viel stärkere Farbe interpretiert und Blau war die Farbe der Heiligen Maria (ebd.). Die Farbzuschreibungen änderten sich erst Mitte des 20. Jahrhunderts.
Vor diesem Hintergrund wirkt die heutige farbliche Einsortierung umso absurder, da sie nur einen sehr schmalen historischen Korridor mit einbezieht und wir dennoch beanspruchen, irgendeinen Zusammenhang dieser zwei Farben und der Geschlechtlichkeit herstellen zu können und letztlich sagt es doch nichts aus. Welche Hybris!
Eierschale, weitere Farben, Rahmen
Auch meine Darstellung ist natürlich plakativ und vereinfachend, dennoch erweitern unterschiedliche Farbintensitäten und Proportionen das Spektrum. Unterstrichen wird dies zum einen durch die Eierschalen, deren implizite Eigenschaft es ist, dass sie alle indivduell sind und kein Ei dem anderen gleicht - nicht wie im gebräuchlichen Sprichwort. So repräsentieren sie in besonderem Maße die Individualität.
Gleichzeitig habe ich in dem Bild die Variationsbreite erweitert, indem die Hintergrundfelder die jeweiligen Schattierungen noch einmal in anderem Licht erscheinen lassen. Orientiert habe ich mich dabei an den Farben der Pride-Flaggen. So steht Lila für die Mischung von Männlichkeit und Weiblichkeit. Grün ist die Gegenfarbe zu Lila und repräsentiert Menschen, die sich außerhalb der Geschlechterbinarität verorten. Weiß kann für Neutralität, Sexualität oder das Fehlen von Geschlecht stehen und Türkis steht für die Kunst.
Äußerlich gerahmt ist das Bild mit Worten, die Bedingung sind, eine freiheitliche Entwicklung zu fördern. Dazu zählen Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung, der Umgangsweise im Miteinander und gesellschaftliche Grundvoraussetzungen.
Fazit
Nun fragst du dich und mich vielleicht auch, warum dieses Thema? Sind wir heute nicht sowieso längst an einem Punkt, an dem wir uns ständig frei entscheiden können, wie wir uns definieren?
Ja, es gibt bestimmt mehr Freiheiten, aber Stereotypisierungen, Rollenklischees und Konventionen schränken diese nach wie vor ein. Mir geht es in diesem Bild allerdings weniger um die Freiheit, sich einem Geschlecht oder einer Orientierung zuordnen zu dürfen, sondern vielmehr darum, nicht immer alles einsortieren zu müssen, um die Freiheit, Persönlichkeitsmerkale, Wünsche und Bedürfnisse zu haben, die einfach sein dürfen und nicht kategorisiert werden müssen.
"Sei du selbst, alle anderen sind schon vergeben."
Oscar Wilde
"Sei du selbst, alle anderen sind schon vergeben", sagt Oscar Wilde. Insofern, vergiss einzelne Schubladen und denke in Kommoden! Es wird keinem Menschen gerecht, weder dir selbst noch anderen, immer in Schubladen gesteckt zu werden, seien es geschlechtsspezifische oder andere Sortierungen. Es verhindert, dass wir uns entwickeln können, wie wir es selbst gerne möchten, dass wir uns trauen Aspekte unserer Persönlichkeit zu akzeptieren und zu zeigen, die vielleicht nicht Mainstream sind, uns letztlich aber einzigartig und interessant machen. Echte Begegnungen und Entwicklung entstehen nicht zwischen Schubladen, sondern auf Basis eines Interesses für die ganze Persönlichkeit. Also meine Ermutigung frei nach Oscar Wilde: bleibe bei dir und suche eine echte Verbindung zu anderen!
In diesem Sinn: Lass uns in Verbindung bleiben!