Wir leben in einer Welt, in der wir ständig mit diversen Entwicklungen auf unterschiedlichsten Gebieten konfrontiert sind. Kein Wunder, dass wir mit Sicherheit nicht alles wahrnehmen können. Gleichzeitig gibt es natürlich auch ein Wahrnehmen-Wollen und auch hier wird es schwierig, wenn man die Balance finden möchte zwischen entspannt und überreizt. Kennzeichen unseres multimedialen und vernetzten Lebens ist, dass wir unendliche Möglichkeiten haben und mit einer Flut von Informationen konfrontiert sind (deren Wahrheitsgehalt auch nicht immer abschätzbar ist), gleichzeitig aber auch einen Weg finden müssen, uns abzugrenzen. Wir müssen eine Auswahl treffen, was wir an uns heranlassen, womit wir uns konfrontieren und wovon wir uns abgrenzen. D.h. womit wir uns beschäftigen, ist zum einem dem geschuldet, was uns begegnet und mit der Entscheidung, wem oder was wir eine so große Bedeutung beimessen, dass wir uns damit beschäftigen, uns berühren und schlussendlich unser Handeln beeinflussen lassen (und dies in allen Lebensbereichen).
Zunehmende Präsenz der Klimakrise
Eine der großen Krisen, die aufgrund ihrer Brisanz inzwischen medial eine deutliche Präsenz hat und deren Auswirkungen wir, wenn hierzulande vielleicht auch noch moderater, zu spüren bekommen, ist die Klimakrise. Eine junge Generation schreit zumindest teilweise auf, weil sie sich mit einer ungewissen Zukunft konfrontiert sieht und sich sicher ist, dass nicht genügend gehandelt wird. Manche jungen Menschen sehen das Nicht- oder nur zögerliche Handeln als einen Verrat an ihrer Generation. Es gelingt ihnen nicht, sich in dem Fall abzugrenzen und sie wollen es auch nicht, weil sie genau wissen, sie werden stark betroffen sein von den noch nicht genau abschätzbaren, aber sicheren Folgen des Klimawandels. Die Nähe dieser problematischen Entwicklung ist für sie spürbar, da zeitlich greifbar und mindestens beunruhigend.
Eine Frage der Betroffenheit
Aber ist die Klimakrise denn wirklich unser aller Problem? Wir könnten uns ja auf den Standpunkt stellen, dass wir ab einem gewissen Alter - sagen wir mal so ab der Lebensmitte - davon ausgehen können, das Schlimmste erwischt uns nicht mehr... Außerdem leben wir hier doch sehr privilegiert. Während bereits andernorts auf der Welt Dürre herrscht und schlimme Wetterextreme die Lebensgrundlagen zerstören, so sind wir reich genug, um wahrscheinlich lange noch Vieles ausgleichen zu können. Außerdem, was sollen wir schon ausrichten? Selbst wenn wir wollten, könnten wir doch nicht viel ändern. Beispielsweise ist der Regenwald doch sehr weit weg. Wie sollten wir dessen Abholzung verhindern? Keine Chance!
Das ist natürlich provokant formuliert, aber gar nicht so weit entfernt von dem, was sich als gewisser Trend hierzulande abzuzeichnen scheint. Nach einer neuen Studie des Kölner Rheingold Instituts im Auftrag der Identity Foundation Düsseldorf, ziehen sich die Deutschen zunehmend ins Private zurück. Die Lage erscheint zu aussichtslos, die Krisen zu groß, als dass dem eigenen Wirken diesbezüglich noch ein Wert beigemessen wird. Aus der Aussichtslosigkeit resultiert Verdrängung. Dabei ist
„die Angst vor dem globalen Klimawandel [...] die Angst, die vielen Menschen bislang am wenigsten nahekommt. Die Klimakrise rückt erst in den Blick, wenn Dürre, Brände oder Überflutungen die eigene Welt bedrohen. Viele sehen sich insgeheim als Krisenprofiteure, weil beispielsweise der milde Winter dabei hilft, Heizkosten zu sparen. Und viele hegen zudem die Hoffnung, der vollen Wucht der Klimakrise doch noch entkommen zu können“
(Quelle: Internetseite des Rheingold Instituts „Deutschland auf der Flucht vor der Wirklichkeit“, https://www.rheingold-marktforschung.de/gesellschaft/deutschland-auf-der-flucht-vor-der-wirklichkeit/).
Auf meine Eingangsfrage hin würden diese Ergebnisse bedeuten, ein Problem muss tatsächlich sinnlich spürbar nahe sein, dass wir es wahrnehmen und ggf. unser Handeln verändern. Der Haken an der Sache ist aber nun ja, dass bisher vor allem ärmere Regionen und Gebiete auf der Welt viel stärker von Klimaveränderungen betroffen sind, die Menschen dort aber noch viel weniger tun können, da ihr Anteil am globalen Handelsvolumen und CO2-Ausstoß viel geringer ist als unserer, die wir noch nicht so viel vom Klimawandel zu spüren bekommen.
Wieder provokant könnte man da sagen, Glück gehabt oder halt Pech gehabt. Aber ist es wirklich so einfach?
Was fange ich damit an?
Und was fangen wir jetzt damit an? Was fange ich damit an?
Für mich entsteht daraus ein Bild (coming soon: und auch noch ein zweites ;-) ).
Warum?
Weil es mich beschäftigt. Und zwar der Teil mit der eigenen Verantwortung und die Frage inwieweit ich die habe oder nicht habe und warum. Und macht das alles überhaupt Sinn?
Um es gleich vorwegzunehmen, ich präsentiere hier keine Wahrheiten, fertigen Antworten und keine Lösungen, nur meine Gedanken zu einem Thema und die Schlussfolgerungen, die ich für mich daraus gezogen habe.
Zwei Menschen, die mir auf dem Weg und der Suche nach Antworten dazu begegnet sind, haben mich beeindruckt. Besonders ist daran, dass es sogar eine Verbindung zwischen beiden gibt: Sie haben beide den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen. 1987 war dies der Philosoph und Ethiker Hans Jonas (*1903, † 1993), 2019 der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado (*1944).
Hans Jonas und seine Ethik der Verantwortung - was bleibt?
Nun kann und will ich hier nicht die gesamte Philosophie Hans Jonas' ausbreiten, nur kurz schildern, was für mich an dieser Stelle von seiner Philosophie bedeutsam ist. Hans Jonas entwickelte in den 1970er Jahren eine Ethik für die technologische Zivilisation und veröffentlichte diese 1979 in seinem Hauptwerk „Das Prinzip Verantwortung“ (Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt am Main 1984). Er rückt in den Fokus, dass der technische Fortschritt inzwischen so weit reicht, dass zukünftige Generationen von unserem heutigen Handeln betroffen sein werden. Folglich brauchen wir, so seine These, eine Ethik, die die weiter entfernte Zukunft mit einschließt. Der Mensch ist inzwischen in der Lage, das Leben auf der Erde komplett zu vernichten. Jonas plädiert dafür, dass der Mensch sich als Teil der Natur und des großen Ganzen sieht und im Hinblick darauf sein Handeln ausrichtet. Dafür formuliert er einen Imperativ, der dieses Handeln leiten soll:
„Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden. Oder negativ ausgedrückt: Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens.“
Hans Jonas
Dabei ergibt sich für ihn eine besondere Verantwortung der Reichen, der „Sieger“ auf dieser Welt, die die Ressourcen deutlich stärker verbrauchen. Für ihn besteht kein Zweifel daran, dass wir bescheidener werden müssen.
Und eigentlich wissen wir das auch alle seit Jahren, oder? Kaum einem dürfte sowohl der Deutsche Erdüberlastungstag (dieses Jahr 04.Mai) als auch der Globale Erdüberlastungstag (dieses Jahr 02. August) entgehen. Und jeder, der ein bisschen rechnen kann, versteht, warum der weltweite Überlastungstag später im Jahr liegt, als der deutsche.
Nun gibt es natürlich vermutlich kein Unternehmen, dass aus diesem Grund weniger Umsatz machen möchte. - Verständlicherweise und ökonomisch absolut auch nicht sinnvoll.
Auch privat kenne ich wenige Menschen, die sich bewusst deutlich weniger leisten und konsumieren, als sie könnten. Und diejenigen, die sich bisher weniger leisten können, streben danach, dass dies zunehmend mehr wird. - Verständlicherweise, schließlich ist Statusdenken nach wie vor en vogue.
Also: Hans Jonas' Ethik der Verantwortung ist erstrebenswert, aber ich sehe, gut 40 Jahre später nicht, dass wir hier weiterkommen. Seine Idee war durchaus kollektiv gedacht, aber ich bezweifle einen Fortschrittswillen gegen technologischen und damit auch wirtschaftlichen Fortschritt. Und auch muss technologischer Fortschritt sicherlich differenziert betrachtet werden, was Gewinn und ggf. ungünstige Entwicklungen angeht. Aber grundsätzlich gilt wohl, Bescheidenheit und Verzicht lässt sich nicht gut verkaufen und ist damit eher unpopulär.
Also ist dies eine Sackgasse?
Sebastião Salgado: ethische Schlussfolgerungen aus einem beeindruckenden Werk
Die andere Person, vor deren Arbeit ich wirklich den allergrößten Respekt habe, ist Sebastião Salgado. Als ich seine Bilder das erste Mal sah und den sehr empfehlenswerten Film „Das Salz der Erde“ (von Wim Wenders und Juliano Ribeiro Salgado) über sein Werk, war ich tatsächlich tief beeindruckt und das passiert nicht oft. Sebastião Salgado fotografierte zunächst Menschen. Dafür bereiste er jahrzehntelang die ganze Welt und hielt die Zustände in Krisengebieten fotografisch fest. Armut, Hunger, Flucht, er fotografierte Unpopuläres, um auf Missstände hinzuweisen und denen eine Stimme zu geben, die dies von sich aus nicht können. Die schonungslose Präsenz in seinen Bildern wirkt dabei schockierend, wenn man sich damit konfrontiert sieht. Gleichzeitig sind die Fotos immer respektvoll und einfühlsam, fotografiert mit Empahtie.
Sebastião Salgodos Kraft und Energie schwanden jedoch, als er mit dem Genozid in Rwanda konfrontiert wurde. Er sagt von sich selbst, dass dies seine Seele krank gemacht habe.
„Als ich dort wegging, glaubte ich an nichts mehr. Nichts könnte die Menschheit mehr retten, so etwas könnten wir nicht überleben! Wir hatten es nicht verdient zu leben. Niemand!“
(Zitat aus dem Film „Das Salz der Erde“)
Sebastião Salgado war frustriert und deprimiert, in welchen Zustand, wirtschaftliche, soziale und politische Umwälzungen den Planeten versetzt hatten und dachte über ein Projekt über zerstörte Ökosysteme nach (Salgado, Sebastião, Mein Land, unsere Erde, München, 6. Auflage 2021, S.123). Als er und seine Frau dann jedoch die landschaftlich verödete Farm seiner Eltern in Brasilien übernahmen, wuchs die Idee, diese wieder aufzuforsten und daraus entstand ein mutiges und ambitioniertes Projekt, die Pflanzung von 2,5 Millionen Bäumen. Inzwischen ist das Land zu einem Naturschutzgebiet geworden und die von den Salgados gegründete Stiftung treibt die Aufforstung des Regenwaldes in den angrenzenden Gebieten weiter voran.
Seine klare Haltung vor dem Hintergrund all dessen, was er gesehen und fotografisch festgehalten hat, ist für mich ein sehr kraftvolles und ernstzunehmendes Statement:
„Niemand hat das Recht, sich vor dem Unglück seiner Zeit zu schützen, denn wir tragen auf gewisse Weise alle die Verantwortung dafür, was in der Gesellschaft geschieht, in der wir uns entschieden haben zu leben“
Und weiter: „...jeder kann in seinem Rahmen etwas tun. Es genügt nicht zu wissen, dass es einen etwas
angeht.“
Sebastião Salgado
(ebd., S. 117 und 186)
Fazit
Als (vielleicht auch nur vorläufiges) Fazit meiner Überlegungen kann ich an diesem Punkt deshalb für mich sagen:
Ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht hilft, die Augen zu verschließen. Wir können uns ins Private zurückziehen, aber spätestens unsere Kinder und die Generationen danach werden Folgen des Klimawandels nicht ignorieren können. Ich weiß, ich sitze im privilegierten Westeuropa und womöglich wird uns auch in Zukunft hier nicht die Hauptlast des Klimawandels treffen. Ich weiß auch, wir haben einen hohen Lebensstandard und wenn alle Menschen auf dieser Welt diesen Lebensstandard hätten, käme ein Kollaps der Ressourcen auf dieser Welt und des Systems Erde noch schneller.
Und dennoch ist mein eigener Einfluss natürlich winzig klein. Was soll ich schon verändern mit meinen minimalen Mitteln?
Antwort: Das was in meinem Rahmen möglich ist. Und es wird die Welt sicherlich NICHT retten. Aber ist es deshalb unwichtig?
Das ist letztlich eine Frage der Bewertung, die jeder selbst treffen muss. Ich habe für mich entschieden, nein, es ist nicht unwichtig. Denn für mich ist die zentrale Frage, wie kann ich vor mir selber bestehen? Und dies kann ich nur, wenn ich nach meiner Überzeugung lebe und Verantwortung übernehme (das gilt übrigens für alle Lebensbereiche).
Und für mich persönlich bedeutet dies, nie so zu leben, ohne den*die anderen mitzudenken oder eben auch meine Umwelt. Es fängt beim direkten Gegenüber an, aber es endet dort nicht. Jeder von uns lebt in verschiedensten Systemen, aber das uns allen übergeordnete System ist das System Erde. Wir können uns meines Erachtens nicht lossagen von den Konsequenzen unseres Handelns, nicht im Kleinen wie im Großen. Und wir sollten uns immer bewusst sein, wie zerbrechlich unser Leben ist. Denn wie ich bereits in meinem Bild „Remember your Fragility“ zum Ausdruck gebracht habe: Das Bewusstsein der eigenen Zerbrechlichkeit ist für mich der Ausgangspunkt für einen respektvollen Umgang mit sich und der Welt.
Deshalb dieses Bild.
Selbstverständlich wird auch mein Bild nicht die Welt retten, aber um abschließend Günther Uecker zu zitieren:
"Die Kunst kann den Menschen zwar nicht retten, aber mit den Mitteln der Kunst ist ein Dialog möglich, der zum bewahrenden Handeln des Menschen aufruft."
Günther Uecker